Tierwohl Labels & Initiativen im Überblick


Die letzten Jahre haben eine ernstzunehmende Kehrtwende für die Geflügelhaltung angestoßen. Es geht nicht mehr ausschließlich um möglichst viele Eier und billiges Hühnerfleisch. Von immer mehr Menschen werden die Haltungsbedingungen für Nutztiere kritisch hinterfragt. Es zeigt sich sogar, dass Nutztierhaltung so wie sie ist, von vielen Verbraucher*innen nicht länger akzeptiert wird. Das 2015 erschienene und vielbeachtete Gutachten vom Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung hat die Haltungsbedingungen für Nutztiere in Deutschland als nicht zukunftsfähig eingestuft. Damit wurde eine nach wie vor aktuelle Debatte zum Thema Tierwohl ausgelöst, die immer noch kontrovers geführt wird.

Was bedeutet Tierwohl und wie lässt es sich steigern? Wie erkenne ich Erzeugnisse von gut behandelten, „wohlen“ Tieren? Welche Siegel und Initiativen gibt es hierzulande? Dazu vergleichen wir am Beispiel der Legehennen verschiedene Standards der Tierwohl-Label.

Tierwohl – Was versteht man darunter?

Tierwohl schaut genau darauf, wie es dem Tier geht. Es bezeichnet eine Haltung, die sich an den biologischen Merkmalen und Bedürfnissen der jeweiligen Tierart orientiert. Das umfasst Aspekte wie Gesundheit, natürliche Verhaltensweisen und Wohlbefinden. Als Grundlage zur Messbarkeit von Tierwohl werden häufig die 5 Freiheiten herangezogen: „Die Tiere sollen frei von Hunger und Durst, von haltungsbedingten Beschwerden, von Schmerzen, Verletzungen und Krankheiten, von Angst und Stress sein sowie die Freiheit zum Ausleben normaler Verhaltensmuster haben.“

Welche gesetzlichen Grundlagen zum Tierschutz (Standards) gelten in Deutschland?

Der Schutz der Tiere ist in Deutschland Staatsziel und im Grundgesetz festgehalten. Seit 2002 regeln das hier das Tierschutzgesetz und die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (umgangssprachlich auch Legehennenverordnung). Die Nutztierhaltungsverordnung definiert allerdings nicht für alle Nutztiere spezifische Forderungen (Mindeststandard).

Welche Labels & Initiativen gibt es?

Verbraucher*innen wünschen sich mehr Transparenz und den Erzeuger-Betrieben ist klar, dass die zukünftige gesellschaftlich Akzeptanz der Nutztierhaltung und damit auch ihr Absatz und wirtschaftliches Überleben von einem höheren Maß an Tierwohl abhängt. Und hier ist der Haken: Für den Begriff „Tierwohl“ existiert keine geschützte Definition. Das bedeutet, dass theoretisch jede Form der Tierhaltung als „artgerechte Haltung“ bezeichnet werden kann und die Erzeugnisse mit dem Attribut „Tierwohl“ versehen werden dürfen – sofern das damit werbende Unternehmen die (geringen) gesetzlichen Standards einhält.

Während die Politik mit ausstehenden rechtlichen Vorgaben dem gesellschaftlichen Konsens für mehr Tierwohl (noch) hinterherhinkt, gibt es verschiedene Label und Initiativen, die schon heute Nägel mit Köpfen machen und Verbraucher*innen mit strengeren Richtlinien für mehr Tierwohl sowie mit Gütesiegeln Orientierung beim Kauf bieten.

Hier ist eine Übersicht mit den relevanten Tierwohl-Labeln …

 … und ihren Mindestanforderungen zum Thema Platzangebot (Auswahl):

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Die Vorgaben der einzelnen Initiativen zum Platzangebot sind unterschiedlich „scharf“ wie konkret. Sie reichen von lediglich „Auslauf muss vorhanden sein“ bis pauschal „30 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben“ oder zu explizit geforderten „Kräuterwiesen“ und Auslaufflächen, die maximal 150 Meter vom Stall entfernt sind.

Das sehen die Label in der Praxis für eine artgerechtere Haltung vor:

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Hier wird es spannend. Die Forderungen, um das Tierwohl zu steigern, beginnen beim Schaffen von Rückzugsmöglichkeiten und dem Verzicht auf Käfighaltung. Weitere Beispiele umfassen je nach Vorgaben des jeweiligen Labels Beschäftigungsmöglichkeiten wie Picksteine sowie weitere veränderbare Materialien wie Heu- und Grünfutterkörbe und Luzerne- oder Strohballen. Dazu jederzeit zugängliche Scharräume, ein Stroh- und Sandbad, pro Huhn 20 cm Platz auf (erhöhten) Sitzstangen, einen Hahn pro 30 bis 50 Hennen, Tageslicht, bodendeckende Einstreu, eine mindestens achtstündige Nachtruhe, regelmäßige Tierwohlkontrollen und Weiterbildungen der Tierhalter*innen.

So lauten die Label-Richtlinien hinsichtlich der Fütterung der Hühner:

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Bevorzugt werden sollen meist regionale Futtermittel und teilweise wird ein gewisser Anteil Raufutter vorgeschrieben.

Wir haben die Label zudem unter dem Gesichtspunkt von Verboten (z. B. präventive Antibiotika-Gabe, Bestrahlung, Zusatzstoffe) und nach der höchstzulässigen Anzahl an Tieren pro Fläche bzw. Gruppe verglichen.

Zu unserem vollständigen Vergleich der verschiedenen Tierwohl-Label (Mindeststandards) am Beispiel von Legehennen HIER ENTLANG.

Siegel im Portrait: Die Branchen-Initiative Tierwohl

Die Initiative Tierwohl ist die größte Plattform für den Einsatz für mehr Tierwohl in Deutschland – als Haltungskennzeichnung ist die Initiative Tierwohl bei den Verbraucher*innen mittlerweile bekannter als das EU-Bio-Siegel. 2015 ist sie als gemeinsames Bündnis von mittlerweile rund 10.200 landwirtschaftlichen Betrieben und Verbänden sowie dem Lebensmitteleinzelhandel an den Start gegangen. Die Partner bekennen sich zur gemeinsamen Verantwortung für Tierhaltung, Tiergesundheit und Tierschutz in Bezug auf die Nutztierhaltung.

Das Anforderungsniveau der Initiative Tierwohl ist im Vergleich zu anderen Labeln niedriger. Dieser „breitenwirksame“ Ansatz verfolgt das Ziel, für eine Bestandsaufnahme möglichst viele Landwirte zu erreichen, um zu sehen, wo diese stehen und welche Tierwohl-Maßnahmen angezeigt sind. So – ihre Hoffnung – werden Kriterien vereinbart, die umsetzbar und für die Verbraucher*innen bezahlbar sind und möglichst vielen Tieren zugutekommen.

Um das Produktsiegel zu erhalten, müssen die Partner bestimmte Kriterien (siehe Vergleich) für mehr Tierwohl einhalten, die über die gesetzlichen Standards hinausgehen. Die teilnehmenden Landwirte erhalten als Ausgleich für ihre Mehrkosten sogenannte „Tierwohlentgelte“. Dieses Geld stammt aus einem Fonds, in den die Handelspartner für jedes verkaufte Kilo Geflügelfleisch und -wurst 6,25 Cent einzahlen. Zweimal jährlich wird bei den Betrieben kontrolliert, ob die Kriterien eingehalten werden – je einmal angekündigt und einmal unangekündigt.

Die drei großen Ziele der Initiative Tierwohl:

  • Verbesserung der konventionellen Landwirtschaft
  • Verbesserung des Tierwohls als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
  • Ein Zeichen setzen für Tierwohl

Produkte für mehr Tierwohl im Shop von eierschachteln.de (Auswahl):

Tierwohl messbar zu machen: Projekt „Nationales Tierwohl Monitoring“

Tatsache ist, dass wir bisher nicht mit Sicherheit wissen oder zweifelsfrei wissenschaftlich darstellen können, wie gut oder schlecht es den Nutztieren wirklich geht. Grund dafür ist, dass fundierte Untersuchungen fehlen. Bei den bisher vorliegenden Erhebungen wurden Daten nur unzureichend und nicht standardisiert erfasst, was sie folglich nicht vergleichbar macht. So wurden jeweils nur bestimmte Tiergruppen oder nur einzelne Gesundheitsaspekte wie z. B. Gefiederzustand oder Brustbeinschäden bei Legehennen oder Fußballengesundheit bei Masthähnchen betrachtet. Für die Themen Tierverhalten und Emotionen gibt es bislang keine relevanten Untersuchungen, weil geeignete Indikatoren fehlen.

Ziel des Projekts „Nationales Tierwohl Monitoring“ ist es, Tierwohl messbarer zu machen und im Rahmen eines regelmäßigen Monitorings (Messsystems) das Tierwohl von Nutztieren zu steigern. Es soll ein Status quo ermittelt werden, um zu beurteilen, wie es den Tieren geht und ob bzw. wie die Tierwohl-Maßnahmen wirken. Dazu werden bis 2023 tier-, management- und ressourcenbezogene Methoden entwickelt, ausgewählt und erprobt.

Profi-Tipp: Ein schon vorhandenes Tool, das Legehennenbetriebe und Junghennenaufzüchter*innen bei der Überwachung ihrer Herden und der Schwachstellenanalyse unterstützt, ist das MTool.

Den Wunsch nach mehr Verbindlichkeit in Sachen Tierwohl teilen durchaus auch viele Erzeugerbetriebe. Auch ihnen ist klar, dass die zukünftige gesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung von einem höheren Maß an Tierwohl abhängt. Eine Verbesserung der Haltungsbedingungen und mehr Tierwohl bedeutet für die Betriebe große Investitionen für Umbauten und eine langfristige Planung. Dafür brauchen diese verbindliche Vorgaben zum „gesellschaftlich gewünschten Maß an Tierschutz und Tierwohl“ sowie Planungssicherheit. Eine schwierige Aufgabe. Mit der Unterstützung der Tierwohl-Initiativen können sich alle dafür entscheiden, ihren Einfluss als Verbraucher*innen für das Wohlergehen von Nutztieren einzusetzen.

 

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1 Kommentar zu „Tierwohl Labels & Initiativen im Überblick

  1. Hut ab für diesen aufwändigen Vergleich, dass ist sicher nicht einfach gewesen. Ich vermisse da etwas den Bereich Geflügelfleisch. Da könnte man z.B. Privathof, Fairmast oder Kikok nennen.
    Bei den Bioverbänden gibt es auch noch Weitere, zumindest Bioland sollte noch aufgezählt werden, weil das doch sehr weit verbreitet ist.
    Und man könnte auch auf den Zusammenhang zwischen den Haltungsformen und den oben aufgeführten Label hinweisen, wie z.B. hier zu sehen:
    https://www.haltungsform.de/ueber-uns/
    Schließlich begegnet dem Käufer diese Haltungsformen fast in jedem Supermarkt.

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