Interview: Katja Tiepelmann von „Rettet das Huhn“

Legehennen auf der Reise in ein neues Leben.
Legehennen auf der Reise in ein neues Leben.

Wer keine eigenen Hühner hält, bekommt seine Eier aus dem Supermarkt oder vom Hofladen um die Ecke, viele achten dabei auf eine artgerechte Haltung oder Bioqualität. Wie unsere Nutztiere gehalten werden, ist für Verbraucher wichtig. Doch was passiert mit Legehennen, wenn der hochproduktive Abschnitt ihres Lebens vorbei ist und der Halter keine Verwendung mehr für sie hat? Normalerweise enden diese Tiere schon in jungem Alter als „Suppenhuhn“ beim Schlachthof. Katja Tiepelmann und ihre Helfer von der Organisation „Rettet das Huhn“ jedoch haben einen Weg gefunden, um das Leben als Haus- und Nutztier für viele „ausgediente“ Legehennen noch um einige Zeit zu verlängern. Im Interview hat sie uns für den Blog über ihre Vermittlungsaktionen berichtet.

eierschachteln.de: Wie kamt ihr auf die Idee zu „Rettet das Huhn“? Wart ihr schon immer selbst Hühnerhalter?

Katja: Alles fing 2007 an, als ich erfuhr, dass in der Nähe meines Wohnortes 3000 Hennen aus Legebatterien zum Geflügelschlachthof transportiert werden sollten. Ich habe überlegt, wie man das verhindern und die Hühner retten konnte. Mithilfe von Martina Krebs vom Verein „Papageienfreunde Nord e. V.“ und Nicole Urbantat von der „Animal Welfare Foundation“ und „Eyes on Animals“ habe ich dann die erste große Aktion gestartet, bei der die Legehennen an neue Besitzer vermittelt wurden. Die beiden haben sich auch danach weiter für „Rettet das Huhn“ eingesetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit Hühnern noch nie etwas zu tun und hatte vorher selber auch keine.

eierschachteln.de: Jede einzelne Henne von teilnehmenden Betrieben wird vermittelt, ausgestallt und bei neuen Besitzern untergebracht. Hinter euren Aktionen steckt sicherlich sehr viel Arbeit. Was motiviert euch und treibt euch an?

 

Jedes einzelne Huhn wird von Helfern abgeholt und im neuen Zuhause untergebracht.
Jedes einzelne Huhn wird von Helfern abgeholt und im neuen Zuhause untergebracht.

Katja: Es ist sehr viel Arbeit. Das Ganze ist vergleichbar mit einem zweiten Vollzeitjob. Wir wollen aktiv Tierleben retten und bei dem industriellen und ausbeuterischen System der Massentierhaltung und massenhaften Produktion tierischer Produkte nicht nur tatenlos zusehen.

Außerdem ist es uns wichtig, Menschen – die Verbraucher – zum Nachdenken und Überdenken ihres eigenen Konsumverhaltens anzuregen. Das kann auch dazu motivieren, die Ernährung auf vegetarisch / vegan umzustellen. Es ist uns schon öfter gelungen, Menschen zu einem anderen Lebensstil oder einer vegetarischen Ernährung zu inspirieren. Dabei sind die zerrupften Hühner für sich selbst die beste Werbung und gehen an keinem Betrachter spurlos vorbei. Viele Menschen kommen ins Grübeln und verspüren danach den Wunsch, ihr Konsumverhalten zu verändern.

In Deutschland gibt es 45 Millionen Legehennen, die jedes Jahr allesamt geschlachtet und durch neue 45 Millionen ersetzt werden. Uns ist bewusst, dass das, was wir tun im Vergleich zu den täglichen Schlachtzahlen dieser Tiere nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Für die Tiere aber, denen wir dieses Schicksal ersparen, ändert sich alles – ihr ganzes Leben. Und sie dürfen leben um ihrer selbst willen und nicht nur, weil sie Eier legen. Daher ja auch unser Leitspruch „Ein Tier zu retten verändert nicht die ganze Welt, aber die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier!“

eierschachteln.de: Ein schönes Motto!
In vielen Legehennenbetrieben leben die Tiere mit Hunderten oder Tausenden anderen in Bodenhaltung oder Volieren, wie reagieren diese Tiere auf ihr neues Zuhause?

Katja:

Erst einmal umschauen, für die Legehennen ist im neuen Zuhause noch alles neu.
Erst einmal umschauen, für die Legehennen ist im neuen Zuhause noch alles spannend.

Wir arbeiten mit insgesamt vier kooperativen Betrieben in NRW und Niedersachsen zusammen, drei Betriebe betreiben Freilandhaltung, ein Betrieb hält die Tiere in Bodenhaltung. Die Bodenhaltung hat zwei Gänge mit jeweils 1800 Tieren nebeneinander, d. h. insgesamt 3600 Legehennen. In den Freilandhaltungen schwankt die Zahl von Betrieb zu Betrieb. Ein Betrieb hat ca. 350 Hennen, der andere hat ca. 300 und der Dritte hat insgesamt 3 Hallen mit jeweils 850 Tieren.

Prinzipiell sehen die Tiere aus den Freilandhaltungen besser aus und sind gesünder als die Tiere aus der Bodenhaltung. Die Besatzdichte im Stall ist in der Freilandhaltung ebenfalls wesentlich geringer und die Tiere haben die Möglichkeit ihre Grundbedürfnisse (Scharren, Picken, Sandbaden, Sonnenbaden, Würmer und Insekten suchen usw.) in einem Außenauslauf auszuleben. Das bleibt den Tieren in der Bodenhaltung verwehrt. Die Hennen in der Bodenhaltung kennen kein natürliches Licht, sondern sitzen mit insgesamt 1800 Artgenossen in einer düsteren und kargen, mehrstöckigen Anlage. Sie legen dort ein Jahr lang Eier und würden normalerweise nach diesem einen Jahr im Alter von nur 15 Monaten – ein normales Huhn kann bis zu 10 Jahre alt werden – im Schlachthof entsorgt und durch neue Junghennen ersetzt werden.

Das neue Zuhause ist natürlich besonders für die Hennen aus der Bodenhaltung eine große Umstellung. Sie gewöhnen sich allerdings sehr schnell ein und gehen ihren natürlichen Instinkten wie Scharren, Picken, Sand- und Sonnenbaden bereits nach kurzer Zeit nach, obwohl sie diese zuvor nie ausleben konnten. Manchmal hat man das Gefühl sie machen alles doppelt so schnell wie die anderen Hühner aufgrund ihres hohen Nachholbedarfs und, dass sie draußen auch bloß nichts verpassen wollen. Sobald sie einen sehen, kommen sie angeflitzt und halten Ausschau, ob es eventuell etwas Leckeres zu futtern geben könnte. Dabei werden sie bereits nach kurzer Zeit so zutraulich, dass sie wie Hunde hinter einem herlaufen und sich so dicht um die Beine scharen, dass man aufpassen muss, nicht versehentlich auf sie draufzutreten.

Auch gesundheitlich erholen sich die Tiere meist schnell von den Strapazen in ihrem vorherigen Leben als Eierlegemaschine, d. h. die Kämme färben sich durch das Sonnenlicht wieder dunkelrot und werden kleiner. Das zerrupfte Gefieder erneuert sich und total zerpickte und eingeschüchterte Lebewesen werden wieder zu dem, was sie eigentlich sein sollten: schöne und stolze Tiere mit einer individuellen Persönlichkeit und mit Selbstbewusstsein.

eierschachteln.de: Legen die ausgemusterten Legehennen noch genügend Eier für den privaten Bedarf oder sind sie eher Gnadenbrottiere in Rente?

Katja: Die Hennen legen allein aufgrund ihrer Zuchtlinie (Legehybriden, d. h. auf Legeleistung gezüchtet) nach wie vor noch sehr viele Eier.

eierschachteln.de: Wie kommt euer Projekt bei den Legehennenbetrieben an? Wie sind die Reaktionen von Landwirten?

Katja: Die Reaktionen sind sehr positiv.

Bisher konnten wir fast alle persönlich kontaktierten Betriebe für eine Zusammenarbeit gewinnen. Die Betriebe, die mit uns kooperieren, freuen sich sehr darüber, dass die Hennen bis zu ihrem natürlichen Tod in einer artgerechten Haltung weiterleben können und nicht geschlachtet werden.

Einigen interessierten Betrieben mussten wir allerdings auch absagen, da diese nicht bereit waren, die Tiere kostenlos oder zum Schlachtpreis von ca. 0,08 Euro pro Huhn an uns abzugeben. Sie wollten versuchen, noch möglichst viel an den ausgemusterten Hennen zu verdienen. Und da wir dieses System der industriellen Tierhaltung auf keinen Fall aktiv unterstützen wollen, müssen wir in derartigen Fällen leider von einer Zusammenarbeit Abstand nehmen.

Aktuell sind wir mit einer Gesamtzahl von ca. 6000 zu vermittelnden Tieren pro Jahr aber voll und ganz ausgelastet und daher nicht mehr auf der Suche nach weiteren kooperativen Betrieben.

eierschachteln.de: Und wie sind die Reaktionen in Social Media und generell im Netz?

Schon bald fühlen sich die Tiere in der neuen Umgebung richtig wohl.
Schon bald fühlen sich die Tiere in der neuen Umgebung richtig wohl.

Katja: Überwiegend sehr positiv. Klar gibt es auch immer wieder ganz schlaue Menschen, die behaupten, man würde die Tiere mit der Umstellung von einer Bodenhaltung auf Freilandhaltung überfordern und unnötig stressen, das ist aber totaler Quatsch. Die Hühner merken sehr schnell, dass die Veränderung eine Veränderung zum Positiven ist. Die natürlichen Instinkte erwachen schon nach wenigen Tagen ganz von alleine und die Tiere können es morgens kaum abwarten endlich aus dem Stall zu flitzen und die ersten Regenwürmer zu suchen – besonders die aus der Bodenhaltung.

eierschachteln.de: Was habt ihr für die Zukunft geplant?

Katja: Erstmal soll alles so weiterlaufen wie bisher. Gegebenenfalls wird unser Team noch durch zwei bis drei Vermittler erweitert, aber ansonsten wird sich nicht viel ändern.

eierschachteln.de: Wenn unsere Leser jetzt Interesse bekommen haben, selbst Hühner aufzunehmen, welche Voraussetzungen muss man dazu erfüllen?

Katja: Die Vermittlungsvoraussetzungen können alle auf unserer Homepage nachlesen. Dort ist alles ausführlich aufgelistet und erklärt. Die Bedingungen müssen von den neuen Besitzern bei Übergabe in Form eines Schutzvertrages unterzeichnet werden.
http://rettetdashuhn.de/voraussetzungen-fur-die-hennenvermittlung/

eierschachteln.de: Sicher fühlen sich auch Menschen von „Rettet das Huhn“ angesprochen, die aktuell keinen Platz haben, um Hühner aufzunehmen. Was kann man tun, um euch zu unterstützen?

Katja: Am besten kann man „RdH“ natürlich unterstützen, indem man einen tollen und artgerechten Platz für Hühner anbietet. Kann jemand aufgrund seiner Wohnumstände (Mietwohnung etc.) dies nicht, so besteht die Möglichkeit, durch Mund-zu-Mund-Propaganda etwas „Werbung“ für RdH zu machen. Eventuell hilft es auch, wenn Menschen nach geeigneten Plätzen für unsere ausgedienten Legehennen Ausschau halten und Hühnerhalter auf uns aufmerksam machen.

Außerdem ist es hilfreich, wenn man anfängt, sein eigenes Konsumverhalten und auch das von anderen Menschen zu hinterfragen und gegebenenfalls zum Positiven zu verändern. Eier werden so zahlreich verarbeitet und gerade in Fertigprodukten werden beispielsweise noch häufig Eier aus Käfig- oder Bodenhaltung verwendet.

Aktive Helfer bei den Ausstallungen haben wir derzeit genug, da besteht aktuell kein weiterer Hilfebedarf und auch Vermittler suchen wir aktuell erst mal keine weiteren.

eierschachteln.de: Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, uns und unsere Leser über eure Organisation zu berichten. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg!

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1 Kommentar zu „Interview: Katja Tiepelmann von „Rettet das Huhn“

  1. Das ist eine schöne Sache,
    Erst denkt man „och nöö, jetzt müssen wir auch noch Hühner retten“. geht es uns so gut. Haben wir nicht andere Sachen um die wir uns nötiger kümmern müssten? Ja haben wir … Ja und jetzt
    Aber die Vorstellung in meinem Garten könnten 2 – 3 Hühner scharren und die hätten es bei mir richtig gut, ist überwältigend.

    Eine wirklich schöne Idee. Schön das es Menschen gibt, die sich dafür einsetzen.

    Gruß
    Monika

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